Steht Leihmutterschaft vor der Akzeptanz in Europa?
Die meisten europäischen Länder verbieten Leihmutterschaft oder suchen sie zumindest zu verhindern. Doch in den letzten Jahren sei laut der nunmehrigen Diplom-Psychologin und approbierten Psychotherapeutin Bode eine Veränderung zu beobachten.
Griechenland, die Niederlande und Portugal erlaubten „altruistische Leihmutterschaft“, Großbritannien öffnete Leihmutterschaft 2018 auch für Singles, die deutsche Bundesregierung (SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP) richtete 2023 eine Kommission ein, die Wege zur Legalisierung von altruistischer Leihmutterschaft untersuchte.
Wie aber gelang es den internationalen Wegbereitern der Leihmutterschaft, diesen Wandel der Normen zu erreichen? Welche Argumente wurden für oder gegen Leihmutterschaft vorgebracht und welche Einrichtungen waren und sind hier besonders aktiv?
Stefanie Bode stellt die feministische Position einer ausnahmslosen Ablehnung von Leihmutterschaft einer liberalen Position gegenüber, die Leihmutterschaft regulieren und damit eine „gute Leihmutterschaft“ etablieren möchte.
Feministischer Kampf für ein Totalverbot von Leihmutterschaft
Der Kampf der Feministinnen gegen Leihmutterschaft begann bereits in den 80er-Jahren. Ihre Argumentation lautet bis heute: Leihmutterschaft fußt auf einem patriarchalen, kapitalistischen System der Ausbeutung und Kontrolle von Frauen, zerstört das Band zwischen Müttern und Kindern und macht Frauen und Kinder zur Ware. Leihmutterschaft bedeute „sexuelle Ausbeutung“ und ist damit auf eine Stufe mit Prostitution zu stellen.
Als Vertreterinnen dieser Richtung nennt Bode zum Beispiel die Autorin, Frauenrechtlerin und Wissenschaftlerin Renate Klein oder Marie-Josèphe Devillers. Zusammen mit vielen anderen Frauen gründete Renate Klein das internationale Netzwerk FINRRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering), eine Organisation, die sich ab den 1980er-Jahren gegen Leihmutterschaft einsetzte. Marie-Josèphe Devillers ist Mitbegründerin der „Internationalen Koalition zur Abschaffung von Leihmutterschaft“ (ICASM), die seit einigen Jahren international Stimmen gegen Leihmutterschaft sammelt und bündelt.
Renate Klein sagt:
„Entweder sind Sie gegen Leihmutterschaft und wollen sie abschaffen oder Sie sind für Leihmutterschaft in dem Sinne, dass Sie sagen: „Nun, es gibt sie, und wir müssen sie regulieren“. Dazwischen gibt es nichts. Regulierung bedeutet, sie zu befürworten“.
Leihmutterschaft an sich ist das Problem
Bode zufolge reihen sich die radikalen Feministinnen in die Gruppe der sogenannten „Abolitionisten“ – also jene Gruppierungen, die sich für ein vollständiges Verbot von Leihmutterschaft einsetzen –, darunter z.B. religiöse Gruppen, Behindertenrechtsorganisationen oder Organisationen, die sich mit Adoption beschäftigen. Sie sehen Leihmutterschaft an sich als Problem, egal ob altruistisch oder kommerziell. Ihr Ziel ist ein internationales Verbot von Leihmutterschaft in allen Formen.
Schutz der Kinderrechte durch Regulierung
Dem gegenüber ortet Bode eine Denkrichtung, die nicht die Leihmutterschaft an sich als Problem sieht, sondern „gute“ von „schlechter“ Leihmutterschaft unterscheidet. Nicht die Leihmutterschaft wird als Problem gesehen, sondern ihr Missbrauch.
Zudem sei Leihmutterschaft nicht zu stoppen, also müsse sie reguliert werden. In diese Richtung werde seit zehn Jahren gegen die „Abolitionisten“ lobbyiert.
Quelle: Stefanie Bode: „The emergence of an international norm on surrogate motherhood: A battle between acceptance and rejection“ (Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.) der Philologischen und Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Vorgelegt im Wintersemester 2021/2022)
EU-Parlament
2011 nannte das Europäische Parlament Leihmutterschaft ein „ernstes Problem, das die Ausbeutung des weiblichen Körpers und seiner reproduktiven Organe darstellt“. Durch neue Reproduktionsvereinbarungen wie die Leihmutterschaft nehme der Handel mit Frauen und Kindern sowie illegale, grenzüberschreitende Adoption zu. (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (2010/2209(INI)).
2014 wiederholte das Europäische Parlament seine Ablehnung von Leihmutterschaft: Sie untergrabe die Würde von Frauen, indem ihr Körper und ihre reproduktiven Funktionen als Ware benützt würden. Leihmutterschaft solle verboten werden. (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Dezember 2015 zu dem Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie in der Welt 2014 und zur Politik der Europäischen Union in diesem Bereich (2015/2229(INI).
2015 verurteilte das Europäische Parlament in einer Empfehlung jegliche Praxis von Leihmutterschaft, da es die Menschenwürde von Frauen untergrabe und ihre Körper und ihre reproduktiven Funktionen als Ware benützt würden. Eine Unterscheidung zwischen altruistischer und kommerzieller Leihmutterschaft wurde nicht vorgenommen.
2020 allerdings folgte eine faktische Trendwende durch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Ist jemand in einem Land als Elternteil anerkannt, solle er es mittels „Elternschaftszertifikat“ in jedem anderen Land sein. Ihr diesbezüglicher Entschließungsantrag über die Wahrung von LGBTQI-Rechten wurde angenommen. Abolitionist:innen sehen darin eine de facto-Anerkennung von Leihmutterschaftsverträgen, denn werde dieser Entschließungsantrag umgesetzt, bedeute das, dass jene Länder, die Leihmutterschaft erlauben, EU-weit Kinder exportieren können. Sie verwehrten sich dagegen, dass es eine einhellige Meinung in der LGBTQI-Community dazu gebe, da insbesondere lesbische Feministinnen aktiv gegen Leihmutterschaft auftreten und in der Gruppe der Abolitionist:innen aktiv seien.
2022 verurteilte das Europäische Parlament Leihmutterschaft erneut – ohne allerdings die Forderung, Leihmutterschaft möge verboten werden, zu wiederholen. Vielmehr formulierte das EU-Parlament nun die Forderung, es sollten „verbindliche Maßnahmen ergriffen werden, um Lösungen für die Leihmutterschaft zu finden und die Rechte der Frauen und Neugeborenen zu schützen“. Festgehalten wurde weiters, dass die Ausmaße der Leihmutterschaftsindustrie, die Situation der schwangeren Frauen und die Folgen der Leihmutterschaft für sie sowie für das Wohlbefinden der Babys untersucht werden sollen. Die schwerwiegenden Auswirkungen der Leihmutterschaft auf Frauen, ihre Rechte und ihre Gesundheit wurden betont. (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2022 zu den Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf Frauen (2022/2633(RSP).
Europarat:
2016 legte Petra de Sutter, Berichterstatterin über Leihmutterschaft für die Parlamentarische Versammlung des Europarates, ihren Bericht vor. Sie unterschied altruistische – also unbezahlte – Leihmutterschaft von kommerzieller Leihmutterschaft. Zweitere sollte verboten, erstere reguliert werden. Gegner:innen von Leihmutterschaft sahen die Gefahr des Dammbruchs. Der Bericht wurde 2016 abgelehnt, da sich die 47 Mitgliedsländer nicht einigen konnten. Der Europarat ist seither in Warteposition und ein weiterer Bericht wird erwartet, wenn die Haager Konferenz für Privatrecht ihre Empfehlung abgegeben haben wird (s.u.)
UNO:
Besonders bedeutend sind die Aktivitäten von Maud De-Boer Bouquiccio, ehemalige Sonderberichterstatterin der UNO über die sexuelle Ausbeutung von Kindern und über Kinderhandel. Maud De-Boer Bouquiccio gab zwei Berichte über „Leihmutterschaft“ heraus. Einer konzentrierte sich auf das Verbot des Verkaufs von Kindern (2018) und der andere auf Sicherheitsvorkehrungen in Bezug auf Kinder, die durch Leihmutterschaft geboren werden (2019). Ihr Anliegen ist es Leihmutterschaft zu regulieren. Die Bestelleltern erkennt sie als Eltern des Kindes an. Ihre Empfehlungen flossen sowohl in den Arbeiten der Haager Konferenz für Privatrecht wie auch den Verona Principles (s.u.).
Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (HCCH):
Seit 2010 beschäftigt sich die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht - eine Einrichtung zur Vereinheitlichung des Privatrechts, der alle EU-Staaten und die EU selbst angehören – mit Leihmutterschaft. Auch diese Einrichtung verfolgt das Ziel einer Normierung von Leihmutterschaft unter dem Aspekt der Kinderrechte. Nicht die Leihmutterschaft an sich wird als Problem gesehen, sondern vielmehr Probleme, die sich daraus ergeben. Dazu zählt die Haager Konferenz etwa Meinungsänderungen von Wunscheltern oder Leihmüttern, fehlende informierte Zustimmung der Leihmutter oder fehlendes Wissen über die eigene Herkunft der aus Leihmutterschaft geborenen Kinder.
Ein Vorschlag zur Regulierung von Leihmutterschaft liebt bis dato nicht vor.
Verona Principles:
The International Social Service (ISS) ist eine internationale Non Profit-Organisation, die sich mit Kinderrechten im Zusammenhang mit Auslandsadoptionen beschäftigt. Sie verabschiedete 2021 die sogenannten „Verona Principles“, das ist eine Richtlinie für Leihmutterschaft, die einer weitgehenden Liberalisierung gleichkommt. Hier werde eine „sichere Leihmutterschaft“ konstruiert, wenn bestimmte Vertragsinhalte eingehalten werden wie zum Beispiel: Wird Geld bezahlt, muss dies deklariert werden. Es gibt einen Vorschlag, was in den Leihmutterschaftsverträgen angeführt werden muss oder wie die „freie Entscheidung“ der Leihmutter sichergestellt wird. Viele Dinge, die auch von der Haager Konferenz diskutiert werden, sind hier aufgenommen. Die Initiator:innen der Verona Principles bezeichnen sich selbst als „neutral“ und „realistisch“ und grenzen sich so von den „radikalen“ bzw. „extremen“ Ansichten der Abolitionist:innen ab.
Die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin für Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie Maud de Boer-Buquicchio nahm an vorbereitenden Meetings teil. Die „Verona Principles“ werden auch von UN-Gremien verbreitet. UNICEF nahm die Verona Principles in ihre Kinderschutzstrategie von 2021 auf.
Child Identity Protection wurde 2020 in Genf gegründet. In Sachen Leihmutterschaft stimmt sie mit den Verona Principles überein. Mia Dambach, vormalige Mitarbeiterin des ISS, ist Executive Director von Child Identity Protection, Maud de Boer-Buquicchio Mitglied des Exekutivkomitees. Auch andere Autoren der Verona Principles sind Mitglieder von Child Identity Protection. Sie fokussieren darauf, dass Kinder ihre Herkunft kennen sollen. Das Recht von Kindern, möglichst bei den Eltern zu bleiben, wird nicht erwähnt.
Diese Aktivitäten werden von Medienberichten begleitet, in denen Wunscheltern glücklich sind mit ihren Leihmutterschafts-Babys sowie Inseraten der Anbieter:innen v.a. auf Social Media. Leihmutterschaft wird darin als neutrales Angebot der Gesundheitsvorsorge dargestellt, mit dem humanitäre Ziele verfolgt werden.
aktion leben: Seit den bald 50 Jahren Beschäfigung mit Leihmutterschaft
Bereits in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts warnte die damalige aktion leben-Generalsekretärin Grit Ebner vor einer Entwicklung hin zur Normalisierung von Leihmutterschaft. Seither beschäftigen wir uns mit dem Thema Leihmutterschaft.
Leihmutterschaft ist Kinderhandel und widerspricht zahlreichen Menschenrechten. Wir sind überzeugt, dass nur ein komplettes Verbot – vergleichbar mit dem Verbot von Sklavenhandel – Leihmutterschaft unterbinden kann. Wir setzen uns dafür ein, dass die österreichische Bundesregierung in Europa weiterhin gegen Leihmutterschaft eintritt und die Perspektive der Leihmütter und Kinder nicht vergessen wird.
Information, Vernetzung, politische Arbeit von aktion leben
Seit vielen Jahren ist aktion leben in dem Bereich aktiv. Die jüngsten Aktivitäten: aktion leben publizierte 2017 die Broschüre „Leihmutterschaft. Frau und Kind als Ware“ und ging mit der Homepage www.leihmutterschaft.at online. Wir unterschrieben den Protestbrief von "Collectif pour le Respect de la Personne" (CoRP) gegen das Ansinnen der Haager Konferenz. Auch zum Bericht des Europarates von Petra de Sutter gaben wir eine Stellungnahme ab.
aktion leben unterstützt außerdem den Verein stoppt-leihmutterschaft.at, in dem sich Menschen und Organisationen in Österreich gegen Leihmutterschaft engagieren.