Geschichte der Fristenregelung in Österreich
Im 19. Jahrhundert war Abtreibung ohne Ausnahme unter Strafe gestellt. § 144 und die folgenden Paragrafen des Strafgesetzbuches aus 1854 sahen für Abtreibung „schweren Kerker“ zwischen einem und fünf Jahren vor. Mit bis zu zehn Jahren sollten Ärzte bestraft werden, die Abtreibung gewerbsmäßig durchführten. Diese Bestimmungen galten im Wesentlichen bis zur Strafrechtsreform der 1970er-Jahre.
Trotzdem fanden viele Abtreibungen statt. Obwohl es gesetzlich nicht explizit formuliert war, wurde Abtreibung in der Regel als Notwehr anerkannt und von einer Strafe abgesehen. Ebenso gab es aber auch Anzeigen und Verurteilungen, die immer wieder öffentlich heftige Reaktionen auslösten. Abtreibung war zudem – vor der Entdeckung des Penecillins – auch medizinisch riskant. Gleichzeitig wirkte die oft harte Verurteilung von unverheirateten schwangeren Frauen in der Gesellschaft. Noch in den 70er Jahren war es eine Schande, unverheiratet schwanger zu werden. Die Angst vor der Schande, einer Anzeige, gesundheitlichen Schäden beherrschten das Thema.
In diesem Spannungsfeld zwischen Anspruch und gelebter Wirklichkeit und der Willkür, die dies ermöglichte, entfaltete sich vor allem seit den 1920er-Jahren eine intensive politische Debatte. Dabei wurde einerseits diskutiert, ob und wie von einer Bestrafung abgesehen werden sollte. Andererseits ging es darum, wie der Schutz des Lebens effektiver gewährleistet werden konnte: Die jahrzehntelang als Liberalisierung geforderte "medizinische Indikation" wurde im Ständestaat 1937 eingeführt. Festgehalten wurde, dass Abtreibungen dann straffrei sein sollen, wenn die Schwangere in Lebensgefahr ist oder einen nicht anders abwehrbaren, schweren Schaden für ihre Gesundheit befürchten müsse. Intention war eine Beschränkung der bereits liberaler gehandhabten Praxis. Außerdem wurden Kommissionen eingerichtet, um „leichtfertige Abtreibungen“, wie es damals hieß, abzuwenden.
Welche Umstände sollen die Straflosigkeit des Abbruchs begründen?
Wessen Interessen sollten berücksichtigt werden: die des Embryos, der Mutter, gar der ganzen Gesellschaft? Schon in den 1920er-Jahren gab es Überlegungen einer selektiven Bevölkerungspolitik (Julius Tandler). Im Nationalsozialismus wurde das in eigener Lesart umgesetzt: Es gab Zwangsabbrüche neben einem Abtreibungsverbot, je nachdem, wie Anhänger von Rassenideologie und Eugenik die Schwangerschaft bewerteten. Nach dem Krieg wurden die Regelungen der Vorkriegszeit wieder eingeführt. Das Problem des Widerspruchs von Realität und Gesetz blieb bestehen. Eine Lockerung der Bestimmungen stieß u.a. bei „Rettet das Leben“ – dem Vorläufer von aktion leben – auf heftigen Widerstand. Kein Notstand könne die Tötung schuldlosen menschlichen Lebens rechtfertigen. Sozialen Notstände müsste durch eine soziale Gesetzgebung begegnet werden, so eines der wichtigsten Argumente.
Erneut wurde eine Strafrechtskommission eingesetzt, die 1962 einen Entwurf für ein neues Strafrecht vorlegte. Mehrmals überarbeitet, wurde er 1971 im Parlament eingebracht. Dieser Entwurf sah eine „Indikationenregelung“ vor. Das heißt: Straflosigkeit bei „besonders berücksichtigungswürdigen Umständen“. Gewerbsmäßige Abtreibung und Bewerbung von Abtreibung waren nach dem Vorschlag verboten.
Der Alternativvorschlag des „Aktionskomitees zum Schutz des Lebens“ (die Unterschriftenaktion trug den Titel „aktion leben“) beinhaltete eine Straffreistellung, wenn sich die Frau in einer außergewöhnlichen Bedrängnis befände und sich vor dem Abbruch um Hilfe bemüht hätte. Darüber hinaus wurden sozialpolitische wie bildungspolitische Maßnahmen vorgeschlagen. Gleichzeitig formiert sich eine Gruppe zur Reform des § 144, die eine generelle Straffreistellung innerhalb einer bestimmten Frist (Fristenregelung) forderte. Die SPÖ-Frauen setzten diesen Vorschlag parteiintern durch.
1973 stimmte der Nationalrat mit 93:88 Stimmen der Fristenregelung zu. Das Volksbegehren aktion leben, das fast 900.000 Unterschriften erhielt, konnte daran nichts mehr ändern. Die Fristenregelung trat am 1.1.1975 in Kraft.
Während die Fristenregelung umstritten war, galt das nicht für die sogenannten „flankierenden Maßnahmen“. Sie wurden einstimmig angenommen, aber nie vollständig umgesetzt.
1989 verabschiedete aktion leben ihre zukunftsweisende Standortbestimmung. Eine Verschärfung der strafrechtlichen Bestimmungen strebt aktion leben seither nicht mehr an. Die Beratung war von Anfang an einfühlsam, professionell und ergebnisoffen an den Bedürfnissen der Klientinnen orientiert.
Zur Fristenregelung haben wir inzwischen eine differenzierte Position: Wir plädieren für größtmögliche Entscheidungsfreiheit für Frauen ohne deshalb den Schwangerschaftsabbruch zu verharmlosen. Die Diskussion um das Strafrecht erleben wir derzeit als sehr polarisierend und plädieren aus der Rhetorik der 70er Jahre auszusteigen.
Buchtipp: Maria Mesner: Frauensache? Zur Auseinandersetzung um den Schwangerschaftsabbruch in Österreich nach 1945 (J&V-Edition Wien 1993)
Die Geschichte von aktion leben: 70 Jahre aktion leben. Machen wir die Welt zu einem besseren Ort (Broschüre 2024)