Abtreibung entkriminalisieren: Wie soll das gehen?
Österreichische Kampagne „#ausprinzip“ will §96 StGB (Verbot des Abbruchs) aus dem Strafrecht streichen
SPÖ- und Grüne-Politiker:innen schlossen sich 2023 für die Kampagne #ausprinzip zusammen. Anlässlich von 50 Jahren Fristenregelung (erster Antrag im September 1973) forderen sie die Streichung der Abtreibung aus dem Strafrecht.
Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sei ein Menschenrecht, heißt es begründend auf der Website der Kampagne. Dieses Recht müsse – wie internationale Entwicklungen etwa in Polen oder den USA zeigten – immer wieder erkämpft werden.
In Österreich sei die rechtliche Situation zwar besser, es gäbe aber dennoch großen Nachholbedarf. Mängel sehen die Initiatorinnen im rechtlichen Bereich – Abtreibung solle nicht im Strafrecht, sondern auf andere Weise geregelt werden – außerdem sei Abtreibung teuer und werde in vielen Krankenhäusern nicht angeboten.
Die drei Forderungen lauten deshalb:
#AusPrinzip raus aus dem Strafgesetz
#AusPrinzip kostenfrei
#AusPrinzip in Wohnortnähe
Prominente Unterstützer dieser PR-Kampagne sind führende Grüne und SPÖ-Politikerinnen und Politiker wie Andreas Babler, Julia Herr, Meri Disoski, Eva-Maria Holzleitner, dazu „ProchoiceAustria“ und das Netzwerk der österreichischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen.
„Die Kampagne soll Feministinnen, politisch Engagierten, Gruppen und Einzelpersonen die Möglichkeit geben, sich für ein Recht auf einen entkriminalisierten und selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch zu engagieren. Die Agentur P&B stellt dafür kommunikative Tools zu Verfügung, die bestellt und genutzt werden können und koordiniert PR-Maßnahmen. Alle werden motiviert, in ihrem eigenen Umfeld, ihrer Organisation oder in ihrem Freund*innenkreis Aktivitäten zu #AusPrinzip zu starten.“
Vicky Spielmann, Frauensprecherin der Grünen Wien, postete z.B.: „Während Rechtsextreme & Konservative ungewollt Schwangere bevormunden & das Recht auf #Abtreibung mit absurdem Geschwafel zu „Alternativen“ & Motivforschung in Frage stellen, sagen wir klar & deutlich: #AusPrinzip Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch! #prochoice“
aktion leben: Wir wir #ausprinzip sehen!
aktion leben bedauert die einseitige Kampagne #Aus Prinzip, weil sie polarisiert und das Thema verharmlost. Das schadet auch den Frauen, für die die Vertreter:innen von #Aus Prinzip sprechen wollen.
Einer symbolischen Forderung wird zu viel Bedeutung beigemessen, dabei aber übersehen, wie es Frauen oft wirklich mit Abbrüchen, im Fall eines Entscheidungskonfliktes und bei ungewollten Schwangerschaften geht:
Lesen Sie unsere Aussendung zur Kampagne "Aus Prinzip".
Lesen Sie unseren Kommentar zu "Abtreibung als Menschenrecht".
Deutschlands Linke ebenfalls für „Entkriminalisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs.
2023 installierte die deutsche Ampelkoalition entsprechend dem Regierungsübereinkommen eine "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin". Vor allem der grünen Bundesfrauenministerin Lisa Paus war dies ein wichtiges Anliegen ihrer Amtszeit.
Der Auftrag lautete zu prüfen, ob es Möglichkeiten der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches gibt, was die Kommission für die Frühschwangerschaft bejahte, darüber hinaus sah sie einen Gestaltungsspielraum. Hier können Sie den Bericht vom April 2024 lesen.
Im Oktober - Gesetzesvorschlag gab es bis dahin noch keinen - legten 26 deutsche Verbände ihre Wünsche vor und forderten die Regierung zum Handeln auf. Die unterzeichnenden Verbände arbeiteten detailliert aus, wie eine Neuregelung aussehen sollte.
Die Eckpunkte der Forderung zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland der Verbände sind Folgende:
- Der Schwangerschaftsabbruch soll nicht mehr im Strafrecht, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden.
- Bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche soll der Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig gestellt werden (= erlaubt sein)
- Nach der 22. Schwangerschaftswoche bleibt der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, kann jedoch bei Vorliegen einer medizinischen Indikation rechtmäßig sein.
- Die Nötigung zum Abbruch wie auch die Nötigung eine Schwangerschaft fortzusetzen soll unter Strafe gestellt werden. Der Abbruch ohne Zustimmung der Frau bleibt im Strafrecht
- Krankenhäuser sollen verpflichtet sein, Abbrüche anzubieten (Abbrüche in der Regelversorgung). Darüber hinaus sollen Länder verpflichtet sein, Angebote ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Abbrüchen sicherzustellen.
- Der Gewissensentscheid des ärztlichen Personals soll bleiben.
- Die Kosten für Abbrüche sollen durch Krankenkassen übernommen werden – auch im Asylwerbergesetz verankert, damit es keine Lücken gibt.
- Die Pflichtberatung wird abgeschafft und soll ersetzt werden durch einen Rechtsanspruch auf Beratung, für den die entsprechenden Beratungsmöglichkeiten sichergesellt werden müssen.
Der Staat erfülle die Pflicht zum Schutz des Embryos durch Unterstützung, Beratung, Zugang zu sozialen Dienstleistungen. Prävention solle durch Aufklärung, Verfügbarkeit von Verhütung, soziale Unterstützung und Dienstleistungen erfolgen.
Kommentar von aktion leben dazu:
Wir halten den Vorschlag für einseitig.
Ab der 16. Schwangerschaftswoche wird immer eine Geburt eingeleitet. Ab der 22. Woche ist das Kind lebensfähig. Eine eingeleitete Geburt kurz vor der Lebensfähigkeit des Kindes auf Krankenschein und als medizinisches Regelangebot? Das empfinden wir als extrem und auch nicht empathisch.
Die Frist für einen bislang straffreien, nach Wünschen der Verbände nun erlaubten Abbruch, solle verlängert werden, damit der „emotionalen und geistigen Gesundheit sowie dem körperlichen Wohlbefinden“ der schwangeren Frau kein Schaden zugefügt wird, so die Argumentation. Das sehen wir nicht erfüllt.
Positiv an dem Vorschlag finden wir: einen Rechtsanspruch auf Beratung - das wünschen wir uns auch in Österreich. Und: Die Gewissensfreiheit wird nicht angetastet, theoretisch. In der Praxis halten wir das für kaum durchsetzbar, wenn alle Krankenhäuser Abbrüche anbieten müssen und so wenig Verständnis für die besondere und alle Beteiligten belastende Art des Eingriffs da ist.
- Unsere Meinung zur Fristenregelung und warum die wahre Aufgabe jenseits des Strafrechts liegt, lesen Sie hier.
- Eine Aufforderung an unsere Politiker zur Stärkung und Bewerbung von Schwangerenberatung - wie jener von aktion leben - lesen Sie hier.